Polizei reagiert auf Kritik nach Ausschreitungen: „Das haben wir so nicht kommen gesehen“

Im Leipziger Osten wurden am Dienstag brennende Barrikaden aufgebaut und dem Anschein nach ein leerstehenden Haus besetzt. Weil die Polizei die Lage erst spät unter Kontrolle bekam, gibt es Kritik.

Leipzig. Nach Ausschreitungen am Dienstagabend im Stadteil Volkmarsdorf steht die Leipziger Polizei in der Kritik. Es dauerte einige Stunden, bis ausreichend Kräfte zur Verfügung standen, um die bisweilen dynamische Lage samt mutmaßlicher Hausbesetzung in den Griff zu bekommen. Augenzeugen berichten, dass Anwohnerinnen und Anwohner zwischenzeitlich selbst versuchten, brennende Barrikaden zu löschen. Als die Beamtinnen und Beamten schließlich bis zum besetzten Haus vordrangen, wurden keine Personen mehr angetroffen.

Polizeipräsident René Demmler ging am Mittwoch in die Offensive und ließ erklären: „Wir standen vor der Herausforderung, genügend Einsatzkräfte aufgrund der vorherrschenden Situation zeitnah zu akquirieren und parallel in diesem Zeitraum weitere etwa 100 angefallene Einsätze im Stadtgebiet sowie in den Landkreisen Leipzig und Nordsachsen zu bewältigen.“

Außergewöhnlich hoch sei diese Zahl zumindest nicht, ergänzt Behördensprecher Olaf Hoppe. Eher normaler Alltag, allerdings mit begrenzter Kapazität. Im Schnitt 400 bis 500 Einsätze pro Tag fallen in der Polizeidirektion Leipzig an. „Seit Sommer sind es mehr – vielleicht 600. Grob geschätzt werden es zum Jahresende auch mehr gewesen sein als in den Vorjahren“, so Hoppe. Warum das so ist? Schwer zu sagen. In den meisten Fällen gehe es um Standardaufgaben, klassische Polizeiarbeit. „Wenn Lagen wie am Dienstagabend hinzukommen, muss das trotzdem parallel weiter gemacht werden.“

Situation am Dienstag wurde unterschätzt

In der Regel ließen sich immer genug Kapazitäten durch gute Vorplanung organisieren. Am Dienstag sei die Situation zwischen Ludwig- und Eisenbahnstraße aber unterschätzt worden, so der Polizeisprecher weiter. „Schon am Montag gab es ähnliche Protest-Ankündigungen und es blieb trotzdem ruhig. Zudem verlief die Demo am frühen Abend am Torgauer Platz auch friedlich“, so der Polizeisprecher.

Ein Zug Bereitschaftspolizei sei für die Proteste eingeplant gewesen. „Das sind etwa 30 Beamte. Die hätten unter normalen Umständen auch ausgereicht.“ Dann kamen aber mehr Personen zur Demo hinzu und die Lage schaukelte sich auf. „Das haben wir so nicht kommen gesehen. Und tatsächlich sind wir auch nicht in einer so komfortablen Situtation, um sofort mehr Kräfte zu haben“, so Hoppe weiter.

Polizeisprecher: „Noch einmal passiert uns das nicht“

Konkret werden in solchen akuten Fällen Bereitschafts- und Bundespolizei kontaktiert, auch im Streifendienst nach zusätzlichen Möglichkeiten gesucht. Am Dienstagabend konnte erst eine Anfrage bei der Polizei in Sachsen-Anhalt Abhilfe schaffen – mit entsprechend längerer Anreisezeit bis zum Einsatzort.

„Wir sind selbst unzufrieden, dass es so gelaufen ist“, sagt der Behördensprecher, schiebt aber schnell hinterher: „Noch einmal passiert uns das nicht.“ Für die kommenden Tage und Nächte sei vorgesorgt, stünden ausreichend Kräfte für brennende Barrikaden und spontane Hausbesetzungen bereit.

Ein Sprecher des Innenministeriums erklärte der LVZ am Mittwochnachmittag zur Lage am Dienstagabend in Leipzigs Eisenbahnstraße: „Zur Einsatzbewältigung standen letztendlich genügend Einsatzkräfte zur Verfügung. Diese Einsatzkräfte musste nur in ausreichender Zahl angefordert und zum Einsatzort geschickt werden. Hierdurch entstand eine Verzögerung. Es handelte sich um eine dynamische Lage, bei der eine 3-stellige Personenanzahl teilweise mit Wurfgegenständen die Polizisten angegriffen haben. Daher wurden zusätzlich zu dem bereitstehenden Einsatzzug der Bereitschaftspolizei noch weitere Kräfte angefordert, welche letztendlich zur Bewältigung der Lage ausgereicht haben. Diese Verzögerung ist bei sogenannten ad-hoc-Lagen, wie auch einem Bombenfund oder eben unfriedlichen Spontanveranstaltungen kaum zu vermeiden.“


Anwohner in Leipziger Eisenbahnstraße kritisieren Ausschreitungen

Sie zündeten Barrikaden an, um gegen den vermeintlichen Ausverkauf des Viertels zu protestieren: Linke Aktivisten haben am Dienstagabend in der Leipziger Eisenbahnstraße Sachschäden verursacht und einen größeren Polizeieinsatz ausgelöst. Anrainer sehen die Aktionen kritisch.

Vor einem Barbershop sitzen sechs junge Männer in Freizeitkleidung, die Straßencafés und Restaurants sind gut gefüllt: An diesem Mittwochvormittag, elf Stunden, nachdem die Polizei hier die letzten brennenden Barrikaden geräumt hat, ist die Leipziger Eisenbahnstraße wieder in ihrem üblichen Takt. Dieser Widerstandswille gegen einen angeblichen Ausverkauf des Viertels, wie ihn vermummte Aktivisten am Dienstagabend am Rande einer erneuten Hausbesetzung heraufbeschwören wollten, ist zumindest nicht an jeder Ecke sofort greifbar.

„Jeder kann ja seine eigene Meinung haben“, sagt ein junger Syrer, der am Tresen eines Bistros steht. „Aber Sachen anzünden? Wozu soll das gut sein? Das bringt überhaupt nichts.“ Deutschland sei doch ein Land, in dem Probleme friedlich angegangen werden.

Der Verkäufer eines Döner-Ladens lächelt freundlich, als er davon hört, dass die linken Aktivisten am Abend zuvor nach eigener Aussage auch für Leute wie ihn den Aufstand geprobt haben. „Wir lassen nicht zu, dass Viertel für Viertel verkauft wird“, wurde nach Angaben von Zeugen bei der aus dem Ruder geratenen Versammlung propagiert. „Wir kämpfen alle gemeinsam.“ Aber ist das wirklich so? Empfinden das die überwiegend migrantischen Restaurantbetreiber, Verkäufer und Anwohner in der Eisenbahnstraße wirklich so?

Bereits während der Ausschreitungen hatten Anwohner angefangen, brennende Barrikaden zu löschen. Und sie hatten deutlich ihre Meinung gesagt, was sie davon halten. „Mülltonnen anbrennen und auf die Straße schieben – damit haben wir nichts gemeinsam“, sagt am Tag danach der lächelnde Mann aus dem Döner-Laden. „Es ist vielleicht nicht alles in Ordnung hier. Aber so lassen sich Konflikte nicht klären.“

Ein älterer Mann, der mit ein paar Sachen vom Bäcker nach Hause eilt, wirkt genervt. „Die, die gestern hier Bambule gemacht haben, sind doch gar nicht aus unserem Viertel“, glaubt er. „So etwas wollen wir hier nicht.“ In einem Lottoladen winkt die Verkäuferin nur ab. „Damit habe ich nichts zu tun und will damit auch nichts zu tun haben“, sagt sie.

„Jetzt geht es in die Richtung, alles kaputtzumachen“

Für einen Restaurantbesitzer ist die jüngste Entwicklung im Leipziger Osten und auch das Agieren der Stadt durchaus kritikwürdig. „Die Leute aus dem Viertel, die Eigentümer haben hier etwas aufgebaut. Jeder von ihnen hat sein Leben investiert in der Eisenbahnstraße. Doch jetzt geht es in die Richtung, alles kaputtzumachen und Connewitz hierherzubringen.“ Es gebe viele, die inzwischen genug davon haben und deshalb umziehen wollen.

Die Polizei hält die Aktionen der linken Szene vom Dienstagabend für eine Resonanzaktion auf den Einsatz an einem besetzten Haus in der Hermann-Liebmann-Straße am Tag zuvor. Dabei sollen Unbekannte aus einer Gruppe von Hunderten Personen heraus Einsatzkräfte mit Gegenständen beworfen haben. Zudem hätten Versammlungsteilnehmer Mülltonnen sowie anderes entzündbares Material auf die Straße gelegt und anschließend in Brand gesetzt.

Erst gegen Mitternacht konnte die Polizei, die zunächst nicht genügend Beamte verfügbar hatte und Unterstützung aus Sachsen-Anhalt erhielt, die letzten Barrikaden im Viertel räumen. Von Verletzten ist bisher nichts bekannt. Infolge der Brandstiftungen wurden unter anderem eine Hauswand, Straßenbeläge und ein Fahrzeug beschädigt.


26.09.2023

Polizei räumt besetztes Haus – nächtliche Proteste auf der Eisenbahnstraße

Im Leipziger Osten ist am Dienstag erneut ein leerstehendes Haus besetzt worden. Barrikaden brannten, später zogen Aktivisten über die Eisenbahnstraße. Polizeipräsident René Demmler entschuldigt sich für das späte Eingreifen.

Am späten Dienstagabend ist im Leipziger Osten erneut ein leerstehendes Haus besetzt worden. Die Aktion war bereits die zweite Inanspruchnahme innerhalb weniger Tage. Das Gebäude in der Ludwigstraße im Stadtteil Volkmarsdorf wurde später von der Polizei geräumt und gesichert.

Wie Behördensprecher Olaf Hoppe am Mittwoch erklärte, hätten sich gegen 18 Uhr mehrere Personen am Torgauer Platz versammelt, um gegen die Polizeiaktion am Montag gegen die Besetzung eines Hauses in der Hermann-Liebmann-Straße zu protestieren. Diese Versammlung sei friedlich geblieben.

Bis 20 Uhr sei die Menge dann auf Hunderte Personen angewachsen. „Die Personen begannen in der Folge, Mülltonnen sowie anderes entzündbares Material auf die Straße zu legen und anschließend in Brand zu setzen“, so Hoppe. Zudem hätten Informationen in sozialen Netzwerken bereits auf die Besetzung eines Gebäudes in der Ludwigstraße hingedeutet.

Polizei fordert Unterstützung an – Anwohner löschen Brände

Einsatzkäfte seien nun im Stadtteil zusammengezogen worden, auch Hubschrauber-Unterstützung aus der Luft wurde angefordert. Nachdem aus der Menge heraus Pyrotechnik gezündet und Einsatzkräfte mit Gegenständen beworfen worden waren, musste aber weitere Verstärkung unter anderem mit Beamtinnen und Beamten aus Sachsen-Anhalt gerufen werden.

Wie Augenzeugen berichten, seien Müllcontainer und andere Barrikaden auf die Ludwigstraße sowie auf Eisenbahnstraße und Idastraße geschoben worden. Zum Teil hätten Anwohnerinnen und Anwohner versucht, die brennenden Barrikaden zu löschen. Es sei zum offenen Disput auf der Straße gekommen. Die Leipziger Verkehrsbetriebe leiteten Straßenbahnen der Linie 3 und Linie 7 zwischenzeitlich um.

Auf dem Onlineportal „Leipzig besetzen“ veröffentlichten die Protestierenden am Dienstagabend eine Mitteilung, in der sie die Besetzung des Gebäudes in der Ludwigstraße in einen Zusammenhang zur Räumung des zuvor besetzten Hauses am Montag stellten. „Wir lassen uns nicht einfach räumen und auch nicht einfach abschütteln. Deshalb haben wir aus Solidarität und als Druckmittel dieses neue Haus besetzt und werden auch weiterhin den Druck erhöhen bis uns zugehört wird“, hieß es weiter auf dem Portal.

Dieselbe Gruppe hatte bereits im August 2020 auf der Ludwigstraße ein Gebäude besetzt – welches gut zwei Wochen später aber ebenfalls von der Polizei geräumt wurde.

Polizeipräsident entschuldigt sich für spätes Eingreifen

Die neuerliche Aktion wurde nun bereits in der Nacht zum Mittwoch aufgelöst. Laut Polizei seien die Barrikaden bis Mitternacht geräumt gewesen. „ Den Hinweisen auf eine Hausbesetzung in der Ludwigstraße gingen die Einsatzkräfte nach. Im vermeintlich besetzten Objekt konnten keine Personen angetroffen werden“, so Polizeisprecher Hoppe. Die Sicherungsmaßnahmen dauerten noch am Mittwoch an. Die Kriminalpolizei habe inzwischen auch Ermittlungen wegen des Verdachts von Land- und Hausfriedensbruchs aufgenommen.

Verletzt wurde demnach am Dienstagabend niemand. Durch die Brände seien Schäden an Hauswänden, Straßen und an einem Fahrzeug entstanden, hieß es weiter.

Leipzigs Polizeipräsident René Demmler reagierte am Mittwoch auf Unmut von Anwohnerinnen und Anwohnern, die sich über ein spätes Eingreifen der Polizei beschwert hätten. „Wir standen vor der Herausforderung, genügend Einsatzkräfte aufgrund der vorherrschenden Situation zeitnah zu akquirieren und parallel in diesem Zeitraum weitere etwa 100 angefallene Einsätze im Stadtgebiet sowie in den Landkreisen Leipzig und Nordsachsen zu bewältigen.“


Antonie Rietzschel 27.09.2023

Gentrifizierung und Randale – Chance auf größere Solidarität verspielt

Im Leipziger Osten gilt es in Zeiten steigender Mieten ein wichtiges Anliegen zu verteidigen. Doch nicht, indem man Mülltonnen anzündet – findet LVZ-Reporterin Antonie Rietzschel.

Bevor in der Eisenbahnstraße Mülltonnen brannten, Böller zwischen Autos explodierten und Vermummte auf der Straße tanzten, da galt es im Leipziger Osten ein durchaus wichtiges Anliegen zu verteidigen – nämlich die drohende Verdrängung von Vereinen und Initiativen. Die sind in den vergangenen Jahren zu wichtigen Treffpunkten geworden, bieten Räume für politische Diskussionen, für Vernetzungstreffen und interkulturellen Austausch. Oder einfach: für Geselligkeit.

Das „Japanische Haus“ musste bereits umziehen. Nun soll auch das Vereinsprojekt „Erythrosin“, kurz „Ery“, weichen. Der Leipziger Osten rund um die Eisenbahnstraße wandelt sich. Mit seinen Cafés, Bars, Restaurants und eben jenen selbst verwalteten Orten ist er bei Studenten beliebt. Das erkennen offenbar auch Immobilienbesitzer, die nach und nach Häuser sanieren, Ladenflächen und Wohnungen teurer vermieten.

Die Gentrifizierung, sie hat das Viertel erreicht; auch wenn sie längst nicht so weit fortgeschritten ist wie in Plagwitz, der Südvorstadt oder in Connewitz. Die Frage ist, ob man es so weit kommen lassen will – in einem Viertel, in dem derzeit Lebenswelten aufeinanderprallen. Was anstrengend ist, aber eben auch in seiner Vielfalt ziemlich besonders.

Auch anderswo in Leipzig kämpfen Initiativen gegen steigende Mieten und schleichende Verdrängung. Im Musikviertel versucht eine Initiative ein breites Bündnis zu bilden – und wer sich mit den Verantwortlichen unterhält, bekommt eine Ahnung, wie viel Arbeit hinter all dem Klinkenputzen steckt.

Der Dienstagabend hätte der Beginn einer Vernetzung mit Anwohnern und Geschäftsleuten im Leipziger Osten werden können. Doch dann sorgte eine kleine Gruppe dafür, dass aus anfangs friedlichem Protest ein krawalliges Happening wurde – und damit jede Chance auf größere Solidarität verspielt wurde.